24. Jul. 2025
Das Netzwerk Straffälligenhilfe in Baden-Württemberg hat am 24. und 25. Juli 2025 zur landesweiten Fachtagung in die Evangelische Akademie Bad Boll eingeladen. Rund um das Thema „Wege aus der Straffälligkeit“ kamen zahlreiche Fachkräfte aus Justiz, Sozialer Arbeit, Wissenschaft und Politik zusammen, um aktuelle Erkenntnisse und Praxiserfahrungen zu diskutieren.
Eröffnet wurde die Tagung 2025 von Ulf Hartmann, Vorstand des Paritätischen Baden-Württemberg. Er stellte in seiner Rede fest, dass unter den Tagungsteilnehmer*innen viele Fachleute aus unterschiedlichsten Fachrichtungen, Institutionen und Regionen sind, die durch ein gemeinsames Ziel vereint sind: den Menschen, mit denen sie arbeiten, neue Perspektiven zu eröffnen, ihnen Wege aus der Straffälligkeit aufzuzeigen und sie auf ihrem Weg zu begleiten. „Das diesjährige Thema der Fachtagung „Desistance from Crime – Wege aus der Straffälligkeit“ steht für einen Paradigmenwechsel: Weg von der Fixierung auf Defizite und Delikte, hin zu Ressourcen, Beziehungen und Entwicklungsmöglichkeiten“, so Ulf Hartmann. Statt zu fragen „Warum wird jemand kriminell?“, stelle sich heute die entscheidendere Frage: „Was hilft Menschen dabei, sich von Straffälligkeit und strafbewährtem Verhalten zu distanzieren und ein straffreies, selbstbestimmtes, verantwortungsvolles Leben zu führen?“, führte Hartmann weiter aus. Nach der Begrüßung durch Ulf Hartmann und Kathinka Kaden, Tagungsleiterin der Akademie Bad Boll, richtete Ministerialdirigent Martin Finckh, Ministerium der Justiz und für Migration Baden-Württemberg, ein Grußwort an die Teilnehmenden. Er betonte die Bedeutung von Resozialisierung und die gemeinsame Rolle von Justizvollzug und freier Straffälligenhilfe. Das Netzwerk Straffälligenhilfe bezeichnete Martin Finckh als einen zentralen Knotenpunkt für die Resozialisierung. Die von ihm koordinierten landesweiten Projekte könnten dank der haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nahezu immer in der Nähe des Haft- oder Wohnorts in konstant hoher fachlicher Qualität angeboten werden. Es sei eine goldrichtige Entscheidung gewesen, das Netzwerk als übergeordnete Ebene zur Vereinheitlichung und kontinuierlichen Weiterentwicklung der freien Straffälligenhilfe vor 20 Jahren zu etablieren.
Die Fachvorträge boten unterschiedliche Einblicke: Prof. Dr. Christian Ghanem eröffnete mit einem Impulsvortrag zu Desistance from Crime und beleuchtete, warum Ausstiegsprozesse aus Kriminalität gelingen können. Er betont, dass Desistance sich für den Prozess und die Bedingungen des Abstandnehmens von Straffälligkeit interessiert. „Für die Allermeisten ist Delinquenz ein vorübergehendes Phänomen – auch für die Hochrisikotäter*innen“, führt Ghanem eine grundlegende Sichtweise der Desistanceforschung aus. Dr. Stefanie Schmidt stellte das Good Lives Model (GLM) als ressourcenorientierten Ansatz vor und diskutierte dessen Umsetzung in Theorie und Praxis. Im Verständnis des GLM sei problematisches bzw. straffälliges Verhalten ein Ausdruck der Bestrebung, grundlegende menschliche Bedürfnisse zu erfüllen, so Stefanie Schmidt. Durch die Methodik GLM können Personen neue Fähigkeiten erwerben, um erfüllende Aktivitäten, Erfahrungen und Situationen zu erreichen. Dadurch sind sie mehr motiviert, sich auf Interventionen einzulassen, wenn diese als Mittel zur Erreichung der eigenen, wertgeschätzten Ziele angesehen werden.
Dr. Susanne Beier sprach über therapeutische Strategien zur Unterstützung von Ausstiegsprozessen. Sie definierte Desistance als „Phänomen, dass zuvor aktiv straffällige Menschen dauerhaft aus ihrer kriminellen Karriere aussteigen, wobei Ausstieg eine Entwicklung impliziert“. Weiter beschreibt sie Desistance als individuellen Prozess des Abnehmens und nachhaltigen Ablassens von Kriminalität über die Lebensspanne von Individuen mit unterschiedlichen Ursachen. In der Konsequenz erklärt die Psychologin: „Klient*innen müssen daher in deliktpräventiven Therapien als Expert*innen für den eigenen Ausstiegsprozess angesehen werden“. Ihr Fazit: Der Ausstieg sollte in Therapie als nicht gradliniger Prozess gewürdigt werden, den es von den Klient*innen zu meistern gilt und das auf ihre eigene Art und Weise. Wichtig seien dabei eine hoffnungsvolle und geduldige Unterstützung (auch in Krisenzeiten) durch die Fachkräfte, in Verbindung mit einer Suche nach etwas, wofür sich die Änderung bzw. der Ausstieg aus Kriminalität lohnt.
In moderierten Workshops wurde die Frage „Was heißt Desistance für die Praxis?“ in Bezug auf Justizvollzug und Straffälligenhilfe vertieft. Dabei wurden Sichtweisen und Meinungen ausgetauscht und neue Erkenntnisse und Anregungen dokumentiert. Die Ergebnisse der Workshops wurden am zweiten Tag der Veranstaltung vorgestellt und im Plenum diskutiert.
Den zweiten Tag der Fachtagung eröffnete Prof. Julian Knop. Er stellte das Peer-Mentoring-Projekt „Credible Messenger“ vor, das vom Verein Tatort Zukunft e.V. nach einer einjährigen Pilotphase erfolgreich verstetigt wurde. Der Kernthese des Projektes ist laut Knop: „Wir alle kennen Personen, die im Gespräch besonders glaubwürdig erscheinen, weil sie das, worüber sie reden, am eigenen Leib erfahren haben. Genauso kommt es vor, dass bestimmte Botschaften nicht zu dem Menschen durchdringen, für den sie bestimmt sind. In der Kommunikation ist nicht nur die Sprache wichtig, sondern auch wer spricht und wer zuhört.“ Bei dem von Julian Knop vorgestellten Ansatz werden Menschen, die selber einmal straffällig und im Gefängnis waren und den Ausstieg aus der Kriminalität bereits bewältigt haben, in die Arbeit mit aktuell straffälligen jungen Menschen eingebunden. Prof. Dr. Christine Graebsch analysierte Herausforderungen bei Desistance-Prozessen insbesondere im Kontext von Sexualstraftätern. Sie zeigte auf, wie auch mit dieser Gruppe von Straftätern nach den Prinzipien des Desistance-Ansatzes gearbeitet werden kann.

In der traditionellen Podiumsdiskussion mit den Landtagsabgeordneten Daniela Evers (Grüne), Arnulf Freiherr von Eyb (CDU), Julia Goll (FDP/DVP) und Dr. Boris Weirauch (SPD) wurden rechtspolitische Rahmenbedingungen für Wege aus der Kriminalität debattiert. Politisch wurde deutlich, dass Resozialisierung stärker als gesamtgesellschaftliche Aufgabe verstanden werden muss und nicht nur Aufgabe der Justiz und der entsprechenden Disziplinen sein kann.
Den Abschluss gestalteten Generalstaatsanwalt Jürgen Gremmelmaier und Kathinka Kaden. Eine wichtige Erkenntnis war, dass für erfolgreiche Ausstiegsprozesse Ressourcenorientierung, verlässliche Unterstützungssysteme und gesellschaftliche Teilhabe notwendig sind. Als zentrale Erfolgsfaktoren für einen gelingenden Ausstieg aus der Kriminalität identifizierte Jürgen Gremmelmaier die Kooperation zwischen Justiz, freier Straffälligenhilfe und Politik. Die Peer-Ansätze könnten nach Meinung des Generalstaatsanwalts interessante Ausgangspunkte für weitere Maßnahmen sein, um insbesondere junge Straftäter bei ihrem Desistance-Prozess zu unterstützen. In seinem Resümee kam Jürgen Gremmelmaier zu dem Schluss, dass die Tagung gezeigt habe, wie Theorie, Praxis und Politik in der Straffälligenhilfe zusammengeführt werden können. Die zwei Tage in Bad Boll hätten einen intensiven fachlichen Austausch und viele neue Impulse geboten, schloss der Vorsitzende des Badischen Landesverbands für soziale Rechtspflege.
von links nach rechts:
Jürgen Gremmelmaier (Badischer Landeverband für soziale Rechtspflege)
Ulf Hartmann (Der Paritätische Baden-Württemberg)
Frank Rebmann (Verband Bewährungs- und Straffälligenhilfe Württemberg)
Daniela Evers (die Grünen)
Arnulf von Eyb (CDU)
Kathinka Kaden (Ev. Akademie Bad Boll)
Julia Goll (FDP)
Fotoaufnahmen: Der Paritätische
Eröffnet wurde die Tagung 2025 von Ulf Hartmann, Vorstand des Paritätischen Baden-Württemberg. Er stellte in seiner Rede fest, dass unter den Tagungsteilnehmer*innen viele Fachleute aus unterschiedlichsten Fachrichtungen, Institutionen und Regionen sind, die durch ein gemeinsames Ziel vereint sind: den Menschen, mit denen sie arbeiten, neue Perspektiven zu eröffnen, ihnen Wege aus der Straffälligkeit aufzuzeigen und sie auf ihrem Weg zu begleiten. „Das diesjährige Thema der Fachtagung „Desistance from Crime – Wege aus der Straffälligkeit“ steht für einen Paradigmenwechsel: Weg von der Fixierung auf Defizite und Delikte, hin zu Ressourcen, Beziehungen und Entwicklungsmöglichkeiten“, so Ulf Hartmann. Statt zu fragen „Warum wird jemand kriminell?“, stelle sich heute die entscheidendere Frage: „Was hilft Menschen dabei, sich von Straffälligkeit und strafbewährtem Verhalten zu distanzieren und ein straffreies, selbstbestimmtes, verantwortungsvolles Leben zu führen?“, führte Hartmann weiter aus. Nach der Begrüßung durch Ulf Hartmann und Kathinka Kaden, Tagungsleiterin der Akademie Bad Boll, richtete Ministerialdirigent Martin Finckh, Ministerium der Justiz und für Migration Baden-Württemberg, ein Grußwort an die Teilnehmenden. Er betonte die Bedeutung von Resozialisierung und die gemeinsame Rolle von Justizvollzug und freier Straffälligenhilfe. Das Netzwerk Straffälligenhilfe bezeichnete Martin Finckh als einen zentralen Knotenpunkt für die Resozialisierung. Die von ihm koordinierten landesweiten Projekte könnten dank der haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nahezu immer in der Nähe des Haft- oder Wohnorts in konstant hoher fachlicher Qualität angeboten werden. Es sei eine goldrichtige Entscheidung gewesen, das Netzwerk als übergeordnete Ebene zur Vereinheitlichung und kontinuierlichen Weiterentwicklung der freien Straffälligenhilfe vor 20 Jahren zu etablieren.
Die Fachvorträge boten unterschiedliche Einblicke: Prof. Dr. Christian Ghanem eröffnete mit einem Impulsvortrag zu Desistance from Crime und beleuchtete, warum Ausstiegsprozesse aus Kriminalität gelingen können. Er betont, dass Desistance sich für den Prozess und die Bedingungen des Abstandnehmens von Straffälligkeit interessiert. „Für die Allermeisten ist Delinquenz ein vorübergehendes Phänomen – auch für die Hochrisikotäter*innen“, führt Ghanem eine grundlegende Sichtweise der Desistanceforschung aus. Dr. Stefanie Schmidt stellte das Good Lives Model (GLM) als ressourcenorientierten Ansatz vor und diskutierte dessen Umsetzung in Theorie und Praxis. Im Verständnis des GLM sei problematisches bzw. straffälliges Verhalten ein Ausdruck der Bestrebung, grundlegende menschliche Bedürfnisse zu erfüllen, so Stefanie Schmidt. Durch die Methodik GLM können Personen neue Fähigkeiten erwerben, um erfüllende Aktivitäten, Erfahrungen und Situationen zu erreichen. Dadurch sind sie mehr motiviert, sich auf Interventionen einzulassen, wenn diese als Mittel zur Erreichung der eigenen, wertgeschätzten Ziele angesehen werden.
Dr. Susanne Beier sprach über therapeutische Strategien zur Unterstützung von Ausstiegsprozessen. Sie definierte Desistance als „Phänomen, dass zuvor aktiv straffällige Menschen dauerhaft aus ihrer kriminellen Karriere aussteigen, wobei Ausstieg eine Entwicklung impliziert“. Weiter beschreibt sie Desistance als individuellen Prozess des Abnehmens und nachhaltigen Ablassens von Kriminalität über die Lebensspanne von Individuen mit unterschiedlichen Ursachen. In der Konsequenz erklärt die Psychologin: „Klient*innen müssen daher in deliktpräventiven Therapien als Expert*innen für den eigenen Ausstiegsprozess angesehen werden“. Ihr Fazit: Der Ausstieg sollte in Therapie als nicht gradliniger Prozess gewürdigt werden, den es von den Klient*innen zu meistern gilt und das auf ihre eigene Art und Weise. Wichtig seien dabei eine hoffnungsvolle und geduldige Unterstützung (auch in Krisenzeiten) durch die Fachkräfte, in Verbindung mit einer Suche nach etwas, wofür sich die Änderung bzw. der Ausstieg aus Kriminalität lohnt.
In moderierten Workshops wurde die Frage „Was heißt Desistance für die Praxis?“ in Bezug auf Justizvollzug und Straffälligenhilfe vertieft. Dabei wurden Sichtweisen und Meinungen ausgetauscht und neue Erkenntnisse und Anregungen dokumentiert. Die Ergebnisse der Workshops wurden am zweiten Tag der Veranstaltung vorgestellt und im Plenum diskutiert.
Den zweiten Tag der Fachtagung eröffnete Prof. Julian Knop. Er stellte das Peer-Mentoring-Projekt „Credible Messenger“ vor, das vom Verein Tatort Zukunft e.V. nach einer einjährigen Pilotphase erfolgreich verstetigt wurde. Der Kernthese des Projektes ist laut Knop: „Wir alle kennen Personen, die im Gespräch besonders glaubwürdig erscheinen, weil sie das, worüber sie reden, am eigenen Leib erfahren haben. Genauso kommt es vor, dass bestimmte Botschaften nicht zu dem Menschen durchdringen, für den sie bestimmt sind. In der Kommunikation ist nicht nur die Sprache wichtig, sondern auch wer spricht und wer zuhört.“ Bei dem von Julian Knop vorgestellten Ansatz werden Menschen, die selber einmal straffällig und im Gefängnis waren und den Ausstieg aus der Kriminalität bereits bewältigt haben, in die Arbeit mit aktuell straffälligen jungen Menschen eingebunden. Prof. Dr. Christine Graebsch analysierte Herausforderungen bei Desistance-Prozessen insbesondere im Kontext von Sexualstraftätern. Sie zeigte auf, wie auch mit dieser Gruppe von Straftätern nach den Prinzipien des Desistance-Ansatzes gearbeitet werden kann.

In der traditionellen Podiumsdiskussion mit den Landtagsabgeordneten Daniela Evers (Grüne), Arnulf Freiherr von Eyb (CDU), Julia Goll (FDP/DVP) und Dr. Boris Weirauch (SPD) wurden rechtspolitische Rahmenbedingungen für Wege aus der Kriminalität debattiert. Politisch wurde deutlich, dass Resozialisierung stärker als gesamtgesellschaftliche Aufgabe verstanden werden muss und nicht nur Aufgabe der Justiz und der entsprechenden Disziplinen sein kann.
Den Abschluss gestalteten Generalstaatsanwalt Jürgen Gremmelmaier und Kathinka Kaden. Eine wichtige Erkenntnis war, dass für erfolgreiche Ausstiegsprozesse Ressourcenorientierung, verlässliche Unterstützungssysteme und gesellschaftliche Teilhabe notwendig sind. Als zentrale Erfolgsfaktoren für einen gelingenden Ausstieg aus der Kriminalität identifizierte Jürgen Gremmelmaier die Kooperation zwischen Justiz, freier Straffälligenhilfe und Politik. Die Peer-Ansätze könnten nach Meinung des Generalstaatsanwalts interessante Ausgangspunkte für weitere Maßnahmen sein, um insbesondere junge Straftäter bei ihrem Desistance-Prozess zu unterstützen. In seinem Resümee kam Jürgen Gremmelmaier zu dem Schluss, dass die Tagung gezeigt habe, wie Theorie, Praxis und Politik in der Straffälligenhilfe zusammengeführt werden können. Die zwei Tage in Bad Boll hätten einen intensiven fachlichen Austausch und viele neue Impulse geboten, schloss der Vorsitzende des Badischen Landesverbands für soziale Rechtspflege.
von links nach rechts: Jürgen Gremmelmaier (Badischer Landeverband für soziale Rechtspflege)
Ulf Hartmann (Der Paritätische Baden-Württemberg)
Frank Rebmann (Verband Bewährungs- und Straffälligenhilfe Württemberg)
Daniela Evers (die Grünen)
Arnulf von Eyb (CDU)
Kathinka Kaden (Ev. Akademie Bad Boll)
Julia Goll (FDP)
Fotoaufnahmen: Der Paritätische
